„Kriegszustand aller gegen alle“
Stets ein Gleichgewicht erhalten
Kurt E. Becker im Gespräch mit Edmund Burke
KEB: Herr Burke, lassen Sie uns über die Auswirkungen der Revolution in Frankreich miteinander sprechen. Insbesondere interessiert mich in diesem Zusammenhang Ihre Einschätzung bestimmter wirtschaftlicher Verhältnisse wie etwa die Beziehungen der Geldbesitzer zu den Landbesitzern.
Burke: Die Geldbesitzer standen … in keiner sonderlichen Gunst bei dem Volke. Das Volk bemerkte, dass sie Gewinn aus seinem Elend zogen und seine Lasten erschwerten. Die alten Landbesitzer nahmen Anteil an diesem Groll, zum Teil aus eben den Ursachen, die ihn beim gemeinen Mann bewirkten, aber weit mehr darum, weil die Geldbesitzer durch den Glanz einer verschwenderischen Lebensart manchen dürftigen Stammbaum, manchen nackenden Titel unter dem Adel verdunkelten.
KEB: Dieser quasi traditionelle Konflikt wurde durch die Revolution dynamisiert?!
Burke: In diesem sehr reellen, wenngleich nicht immer merklichen Kriege zwischen den alten Landbesitzern und den neuen Geldbesitzern befand sich in den Händen der Letzteren die breiteste und eben deshalb die größte Kraft. Es liegt in der Natur der Sache, dass der Geldbesitzer zu jedem neuen Unternehmern auf der Stelle geschickter und jedes Wagstücks fähiger ist als der Landbesitzer. Schon darum, weil jener sehr oft sein Vermögen entstehen sah, ist er gegen alles, was Neuerung heißt, weniger abgeneigt. Daher werden die, welche sich nach Veränderungen sehnen, allemal ihre Zuflucht am ehesten zu den Geldbesitzern nehmen.
KEB: Auch die Intellektuellen schlugen sich auf die Seite der Geldbesitzer…
Burke: Schriftsteller haben an und für sich, besonders aber wenn sie vereinigt und zu gemeinschaftlichen Zwecken wirken, einen großen Einfluss auf den Charakter und die Neigungen einer Nation. Daher musste das Bündnis, welches die Gelehrten in Frankreich mit den Geldbesitzern schlossen, nicht wenig dazu beitragen, den Hass des Volks, der bisher das Los der Letzteren gewesen war, von ihnen abzuwälzen. Die Schriftsteller bedienten sich des gewöhnlichen Kunstgriffs aller derer, die Neuerungen befördern wollen; sie prahlten mit einer großen Vorliebe und Sorgfalt für die Armen und für die niedrigeren Volksklassen, während dass sie in ihren beißenden Satiren durch die unverschämtesten Übertreibungen die Fehler der Höfe, des Adels und der Geistlichkeit abscheulich zu machen suchten. Sie wurden zu einer Art von Demagogen. Sie gaben das Hauptglied in einer Kette ab, welche verhassten Reichtum mit rastloser und verzweifelter Armut zu einem und demselben geheimen Endzweck verband.
KEB: Die Methode hat im Zeitalter der sozialen Medien auch heute wieder Konjunktur. Was waren die Konsequenzen?
Burke: Da diese beiden Klassen von Menschen, die Geldbesitzer und die Gelehrten, bei allen neuerlichen Verhandlungen in Frankreich die Oberhand gehabt zu haben scheinen, so dient uns ihre Verbindung und ihr politisches System dazu, nicht etwa aus Grundsätzen der Gerechtigkeit oder der wahren Staatsklugheit, aber doch aus begreiflichen Ursachen die allgemeine Wut zu erklären, mit welcher man über alles Grundeigentum der geistlichen Kooperationen herfiel, und die auffallende Sorgfalt, mit welcher man, ganz den ausgehängten Prinzipien zuwider, das Interesse der Geldbesitzer und Staatsgläubiger, das in den Schatten des Throns aufgewachsen war, in Schutz nahm. Aller Unwillen gegen Vermögen und Macht wurde mit ausstudierter Kunst auf eine andere Klasse von Reichen geleitet.
KEB: Und was damals galt, gilt auch heute noch: Die Schulden wurden sozialisiert…
Burke: Wenn ein Bankerott entsteht, müssen entweder die leiden, welche schwach genug waren, auf schlechte Sicherheit zu leihen, oder die, welche den Gläubiger mit falscher Hypothek hintergingen. Die Gesetze kennen schlechterdings keine Möglichkeit einer anderen Entscheidung. Aber in dem Institut der neuen Rechte des Menschen sind die einzigen Personen, welche nach Billigkeit leiden müssen, die, welche einzig von allem Verlust freibleiben sollten: Diejenigen müssen für die Schuld haften, die weder Leiher noch Borger, weder Pfandnehmer noch Verpfänder waren.
KEB: Was ist Ihre Schlussfolgerung für eine im besten Wortsinn „gesunde“ Politik?
Burke: Zwischen den Erwerbsmitteln des Bürgers und den Forderungen, die der Staat an ihn zu machen hat, stets ein richtiges Gleichgewicht zu erhalten – das ist ein Hauptstück der Geschicklichkeit eines wahren Staatsmanns.
KEB: Herr Burke, ich danke Ihnen für dieses Gespräch.
Mein, Dein, Sein
Kurt E. Becker im Gespräch mit Thomas Hobbes
KEB: Herr Hobbes, schön, dass wir noch einmal miteinander sprechen können. Vor geraumer Zeit hatte ich ja schon einmal die Ehre. Lassen Sie uns den Gesprächsfaden ganz einfach weiterspinnen.
Sie gehören zu den bedeutendsten Theoretikern des sogenannten Gesellschaftsvertrags. In diesem Gesellschaftsvertrag geregelt wird grundsätzlich auch „die Ernährung und Fruchtbarkeit des Staates“, ganz ohne Frage eine wesentliche Komponente menschlichen Hausens auf der Erde. An welche Bedingungen ist denn Ihrer Meinung nach die Ernährung des Staates geknüpft?
Hobbes: Die Ernährung des Staates hängt ab von der hinreichenden Menge und gehörigen Verteilung der Bedürfnisse des Lebens, sowie auch von deren Zubereitung und Verwendung.
Die Menge der Nahrungsmittel bestimmt die Natur selbst und besteht aus dem, was Erde und Wasser als nährende Brüste dieser unserer gemeinschaftlichen Mutter hervorbringen und uns Menschen von Gott entweder als freies Geschenk oder als Lohn für unsere Arbeit zugeteilt wird. Es gehören dahin Tiere, Pflanzen und alles, was die Erde in sich enthält, welches sämtlich uns so nahe liegt, dass wir es gleichsam nur in Empfang zu nehmen brauchen. Die Menge der Bedürfnisse des Lebens hängt also nächst der Güte Gottes bloß von der Betriebsamkeit und dem Fleiß der Menschen ab.
KEB: Ist mit der Arbeit des Menschen allein gewährleistet, dass seine Bedürfnisse befriedigt werden können?
Hobbes: Die auf solche Art der Erde und dem Meere abgewonnenen Nahrungsmittel sind teils einheimisch teils werden sie aus auswärtigen Staaten eingeführt. Das zu einem Staat gehörige Land, es müsste denn sehr groß sein, bringt nicht all das, was zur Nahrung und zum Verkehr nötig ist, selbst hervor; wiewohl es auch wieder solche Dinge liefert, die man entbehren kann. Diese sind jedoch darum nicht überflüssig und unbrauchbar, sondern sie ersetzen den Mangel der einheimischen Bedürfnisse durch Tausch, Krieg oder durch Arbeit, welch letztere so gut wie alles andere gegen gewisse Güter umgesetzt werden kann.
KEB: In diesem Zusammenhang ein Wort zum „Eigentum“. Aus dem Blickwinkel bürgerlicher Gesetzgebung hatten wir darüber schon gesprochen.
Hobbes: Die Verteilung dieser Naturgüter ist die Festsetzung dessen, was Mein, Dein, Sein genannt wird, und heißt Eigentum. Dieses hängt in allen Staatsverfassungen von der höchsten Gewalt ab; denn wo kein Staat ist, da hat jeder ein Recht auf alles, und bei dem auf diese Art unvermeidlichen Kriege gehört jedes Gut demjenigen, der es an sich zu reißen und durch Gewalt sich zu sichern vermag. Es gibt also kein Eigentum noch gemeinschaftlichen Besitz, sondern alles unterliegt dem Wettbewerb.
KEB: In unserem ersten Gespräch war von einer höchsten Gewalt noch nicht die Rede. Aber Sie sprachen schon vom „Krieg aller gegen alle“. Der kann nur durch Verträge unterbunden werden. Im Blick auf das Eigentum heißt das konkret was?
Hobbes: … Das Eigentum hängt in jedem Staate von den bürgerlichen Gesetzen ab, und diese werden von dem Oberherren gegeben. Dies scheinen schon die älteren Griechen eingesehen zu haben, da sie das Gesetz … Verteilung … nannten; die Gerechtigkeit als Verteilung dessen, was jedem gebühre, setzten.
… Es besteht also das Eigentum des Besitzes eines jeden Bürgers darin, dass von seinem Missbrauch zwar alle Mitbürger nicht aber der oder die Inhaber der höchsten Gewalt ausgeschlossen sind; denn diesen gehört der Staat, und von ihnen muss angenommen werden, dass sie die Verteilung des Landes und alles übrige im Hinblick auf Frieden und das allgemeine Wohl vorgenommen haben.
KEB: Herr Hobbes, ich danke Ihnen für das Gespräch.
Ohne bürgerliche Gesellschaft kein Eigentum
Kurt E. Becker im Gespräch mit Thomas Hobbes
KEB: Herr Hobbes, Ihr Menschenbild ist geprägt vom „Kriege aller gegen alle“…
Hobbes: Der Wunsch nach Reichtum, Ehre, Herrschaft und jeder Art von Macht stimmt den Menschen zum Streit, zur Feindschaft und zum Kriege; denn dadurch dass man seinen Mitbewerber tötet, überwindet und auf jede mögliche Art schwächt, bahnt sich der andere Mitbewerber den Weg zur Erreichung seiner eigenen Wünsche….
KEB: Das wiederum hat was zur Konsequenz?
Hobbes: Die Furcht, von einem andern Schaden zu erleiden, spornt uns an, dem zuvorzukommen oder sich Anhang zu verschaffen; denn ein anderes Mittel, sich Leben und Freiheit zu sichern, gibt es nicht.
KEB: Im permanenten Kriegszustand aller gegen alle ist jeglicher Besitz nach Ihrer Ansicht an Macht gekoppelt.
Hobbes: Eben daraus ergibt sich…, dass es … keinen Besitz, kein Eigentum, kein Mein und Dein gibt, sondern was jemand erworben hat, gehört ihm, solange er es sich zu sichern imstande ist.
KEB: Dieser „Naturzustand“ des Menschen heißt zum Beispiel konkret was für einen Landbesitzer?
Hobbes: Sooft … jemand ein etwas einträglicheres Stück Land besitzt, es besät, bepflanzt und bebaut hat und sein Nachbar Lust bekommt, ihn anzugreifen, weil er nur den Widerstand dieses einen und sonst nichts zu fürchten hat, so muss er nur die freiwillige Beihilfe anderer abwarten, um jenem nicht bloß die ganze Frucht seiner Arbeit, sondern auch Leben und Freiheit zu rauben: indes werden sie, sobald Stärkere über sie kommen, ein Gleiches erleiden müssen… Deshalb muss jedem auch die gewaltsame Vermehrung seiner Besitzungen um der nötigen Selbsterhaltung willen zugestanden werden.
KEB: Ein Entrinnen aus diesem kriegerischen Naturzustand ist nur über Verträge und Abkommen, kurz: eine bürgerliche Gesellschaft möglich?
Hobbes: Gerechtigkeit ist der feste Entschluss, einem jeden das Seinige zu geben. Denn wo es nichts gibt, was man das Seinige nennen kann, oder wo kein Eigentum da ist, da fällt alles Ungerechte weg; und ohne bürgerliche Gesellschaft gibt es kein Eigentum. Weil übrigens die Erfüllung eines Abkommens, welches von der Zeit an gültig zu werden beginnt, wo die bürgerliche Gesellschaft errichtet wurde, das Wesen der Gerechtigkeit ausmacht, entstand auch mit dem Staate Eigentum und Gerechtigkeit zu einer und derselben Zeit.
KEB: Der Staat also ist der Regulator aller Eigentums-Angelegenheiten?
Hobbes: Die Verteilung dieser Naturgüter ist die Festsetzung dessen, was Mein, Dein, Sein genannt wird, und das heißt Eigentum. … das Eigentum hängt in jedem Staate von den bürgerlichen Gesetzen ab.
KEB: Ein Wort bitte noch zur Wirtschaft, zum Haushalt, zu dem, was die Griechen als „oikos“ bezeichneten.
Hobbes: Eine Haushaltung verlangt ebenso viel Klugheit wie die Regierung eines Königreiches, und nur die Gegenstände, worauf dieselbe angewandt wird, machen den großen Unterschied aus. Im Großen oder im Kleinen gut zu malen erfordert zwar ein und denselben Grad, aber eine verschiedene Anwendung der Kunst. So zeigt auch oft der rohe Bauer in seinen eigenen Angelegenheiten mehr Klugheit, als ein Philosoph in fremden Angelegenheiten zeigen kann.
KEB: Ich danke Ihnen für dieses Gespräch.
Keine Stadtkultur ohne ländlichen Untergrund
Kurt E. Becker im Gespräch mit Friedrich Naumann
KEB: Ihre Sicht auf das Verhältnis von Stadt- und Landbevölkerung würde mich interessieren, Herr Naumann?!
Naumann:… Noch vor hundert Jahren waren ...Vierfünftel der Bevölkerung ländlich. Es verbinden euch deshalb mit dem Lande die verwandtschaftlichsten Beziehungen. Wenn vom Dorfe geredet wird, so wachen älteste Erinnerungen in euch auf. Fast eure ganze Sprache hat ländlichen Ursprung in allen ihren Wendungen und Benennungen. Und sobald ihr könnt, geht ihr ganz aufs Land, beseht den Acker und die Gärten und das Vieh. Und dabei wird euch wohl, denn es weht Heimatluft.
Deshalb ist es völlig verdreht, wenn jemand Nur-Städter sein will mit Verachtung des ländlichen Untergrundes. Das ist falsch durch und durch, denn ohne Acker und Vieh kann kein Mensch leben. Ihr alle wollt Brot und Fleisch und Milch und Kartoffeln… So oft ihr euch zu Tisch setzt, verzehrt ihr Bauernfleiß. Ob der betreffende Bauer im Inland oder Ausland wohnt, es ist ein Ackersmann und ein Viehzüchter nötig, damit ihr leben könnt. So einfach diese Tatsache ist, so oft wird sie von den Städtern übersehen. Man sagt, dass man von der Industrie lebt, vom Verkehr, von der Bildung. Das ist alles schön und gut, aber Brot muss der Mensch haben, ehe er Fabriken aufrichten und Schulen herstellen kann.
KEB: Der Bauer als Liberaler, wie Sie unterstellen?!
Naumann: … Es gibt keine Stadtkultur ohne ländlichen Untergrund. Auch gibt es nicht einmal eine gute Stadtkultur, wenn draußen auf den Dörfern Armut, Unsauberkeit oder Krankheit waltet, denn vom Dorfe kommt die Milch eurer Kinder und der tägliche Aufbau eures eigenen Körpers. Ihr müsst wünschen, dass die Dörfer gesund, tüchtig und leistungsfähig sind. Deshalb hat auch der alte Liberalismus vor sechzig oder achtzig Jahren so viel Gewicht auf Bauernbefreiung gelegt. Die alten Liberalen wussten, dass der liberalste Mensch in der Welt ein selbständiger Bauer sein kann. Später hat es freilich oft Städter gegeben, die dafür kein Verständnis gehabt haben. Ihr könnt es nicht leugnen, dass bisweilen eure großstädtischen Zeitungen sich um die Landsorgen zu wenig gekümmert haben. Es war da gelegentlich ein Ton der Missgunst gegen alles ländliche Wesen, den ihr niemals dulden dürft…
KEB: Sie haben eine sehr klare Position zur Frage der Landwirtschaftspolitik…
Naumann: Wenn in der Stadt der Geschäftsgang daniederliegt, so ist der Markt des Landmanns tot. Es ist ein Geschäftsgang, von dem beide Teile leben, ein großes, gemeinsames Atmen geht durch den ganzen Volkskörper. Diese Gemeinsamkeit wird vom Liberalismus vertreten.
KEB: Lassen Sie uns aus Ihrer Sicht über Stadtplanung und in diesem Zusammenhang speziell über Berlin miteinander sprechen.
Naumann: Die Verkehrsverhältnisse Berlins sind nicht schlechter, sondern eher besser als die von Paris und Wien, aber ungenügend sind sie doch und rechnen nie mit dem unvermeidlichen Zuwachs der Zufuhr und des Menschengedränges. Es ist, als ob die Stadtverwaltungen immer erst vom Zuwachs überrascht werden müssten. Das gilt auch vom Bau von Schulen, Bädern, Spielplätzen. Wir gehen der Zukunft mit ungenügender Willenskraft entgegen.
KEB: Ein Manko fraglos in Anbetracht der Migration auch zu Ihrer Zeit!
Naumann: … Die absoluten Ziffern der Menschen, die ein menschenunwürdiges Wohnen ertragen müssen, wachsen beängstigend. In solchen Wohnungen sollen die zukünftigen wirtschaftlichen und militärischen Verteidiger des Vaterlandes geboren werden!
… Wo … ist bis heute der neue Zustand im Wohnungswesen? Alle unsere Baugenossenschaften sind bis jetzt noch junge Kinder mit geringen Kräften… Alle öffentliche Bautätigkeit ist nur ein Anfang. Das Erbbaurecht ist ein Versuch. Die Zusammenfassung der Mieter als gemeinsame Wirtschaftskraft ist kaum irgendwo erfolgreich zu spüren. Die Organisation des Proletariats versagt bis jetzt gegenüber dem Wohnungsproblem… Diese Lage ist peinlich für jeden, der die Wohnungsfrage in ihrem ganzen Umfange begriffen hat…
KEB: Ich danke Ihnen für dieses Gespräch.
Verschlimmert eure Ungerechtigkeit nicht
Kurt E. Becker im Gespräch mit Marquis de Sade
KEB: Marquis, Ihr literarisches Thema war nicht nur die Gewaltpornographie, wie vermutet werden dürfte, Sie haben sich auch mit den Idealen der französischen Revolution befasst und sind zu Aufsehen erregenden Schlussfolgerungen gekommen.
de Sade: Gott verhüte, daß ich hier den Eid auf die Achtung des Eigentums angreife oder zerstöre, den die Nation gerade abgelegt hat, aber mir werden doch einige Gedanken über die Ungerechtigkeit dieses Eides gestattet sein. Welches ist der Sinn der von allen Individuen einer Nation geleisteten Eides? Ist es nicht der, eine vollkommene Gleichheit unter den Bürgern aufrechtzuerhalten, die alle gleich unter das Gesetz vom Schutz des Eigentums aller zu stellen? Aber jetzt frage ich euch, ob wohl ein Gesetz gerecht ist, das dem, der nichts hat, befiehlt, den zu schonen, der alles hat.
KEB: Der Sozialvertrag als Grundlage unter anderem des postrevolutionären Behaust-Seins gilt Ihnen nichts?
de Sade: Welches sind denn die wesentlichen Bestandteile des Sozialvertrages? Besteht er nicht darin, daß man ein wenig von seiner Freiheit und seinem Eigentum abgibt, um zu bewahren und zu erhalten, was man von dem einen und dem anderen behält? Alle Gesetze basieren auf diesen Grundsätzen, sie sind der Grund für die Strafen, die über den verhängt werden, der seine Freiheit mißbraucht; sie rechtfertigen ebenso die Steuern; das bewirkt, daß ein Bürger keinen Einspruch erhebt, wenn man sie von ihm fordert, weil er weiß, daß man ihm mittels dessen, was er gibt, das erhält, was ihm bleibt…
KEB: Sie rufen zum Widerspruch gegen den Sozialvertrag auf?
de Sade: … mit welchem Recht soll sich der, der nichts hat, einem Vertrag fügen, der nur den schützt, der alles hat? Wenn ihr einen Rechtsakt vollzieht, in dem ihr durch euren Eid das Eigentum der Reichen schützt, begeht ihr dann nicht eine Ungerechtigkeit, indem ihr diesen Eid auf den „Schutz des Eigentums“ von jemandem fordert, der nichts hat? Welches Interesse hat dieser an eurem Eid? Und warum wollt ihr, daß er etwas verspricht, was allein für den von Vorteil ist, der sich von ihm durch seine Reichtümer so sehr unterscheidet? Es gibt sicherlich nichts Ungerechteres. Ein Eid muß auf alle Individuen, die ihn ablegen, die gleiche Wirkung ausüben, es geht nicht an, daß er den unterjocht, der kein Interesse an seiner Aufrechterhaltung hat, weil er dann nicht mehr der Vertrag eines freien Volkes wäre: Er wäre die Waffe des Starken gegen den Schwachen, der sich gegen jenen unausgesetzt empören müßte; und genau das widerfährt dem Eid auf die Achtung des Eigentums, den die Nation soeben gefordert hat, allein der Reiche kettet den Armen daran, allein der Reiche ist Nutznießer des Eides, den der Arme mit so viel Unbedachtsamkeit leistet, daß er nicht erkennt, daß er sich mittels dieses, seiner Gutgläubigkeit abgezwungenen Eides verpflichtet, etwas zu tun, was man ihm gegenüber nicht tun kann.
KEB: Ein Aufruf zur Revolution gegen die Errungenschaften der Revolution also?
de Sade: Seid ihr also von dieser grausamen Ungleichheit überzeugt, wie ihr es müßt, so verschlimmert denn eure Ungerechtigkeit nicht, indem ihr den, der nichts hat, bestraft, weil er gewagt hat, dem, der alles hat, etwas zu entwenden: Euer ungerechter Eid gibt ihm mehr als je das Recht dazu.
KEB: Ich danke für das Gespräch.
„Zum ewigen Frieden, Entfernung unbekannt“
Kurt E. Becker im Gespräch mit Hans von Seeckt
KEB: Herr General, lassen Sie uns über unbehauste Zeiten des Krieges miteinander sprechen und wie behauste Zeiten des Friedens hergestellt werden können.
von Seeckt: Die Frage ist so zu stellen: lohnt es, auf dem politischen Arbeitsfeld der Einschränkung der Gefahr kriegerischer Lösungen zuzustreben? Schon diese Frage zu bejahen, setzt genügenden politischen Idealismus voraus und die Erkenntnis, daß der Fortschritt nur langsam und etappenweise denkbar ist.
KEB: Welche Etappen haben Sie dabei konkret vor Augen?
von Seeckt: Wir werden uns auf dieser Straße, an deren Anfang der Wegweiser „Zum ewigen Frieden, Entfernung unbekannt“ steht, mit dem Erreichen eines kleinen Dorfes am Abend der Wanderschaft begnügen müssen, dessen Wirtshaustür das Schild trägt: „Zur Rüstungsbeschränkung“. Wir werden den Krieg nicht aus der Welt schaffen, aber er sollte nur „um des Lebens große Gegensätze“ geführt werden. Der Satz vom Krieg als Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln ist zum Schlagwort geworden und daher gefährlich. Ebenso gut kann man sagen: Krieg ist der Bankerott der Politik.
KEB: Sie sind Realist und legen den Finger in die Wunde der Ideologien.
von Seeckt: Human ist auch das Schwert und die 21-Zentimeter-Brisanzgranate nicht. Denken wir doch an den Dreißigjährigen Krieg und an die vielen „Wüste x Dorf“, die auf der Karte noch heute die Stelle einstiger blühender Orte bezeichnen, um uns zu erinnern, daß auch früher der Krieg nicht Weib und Kind, nicht Haus und Hof verschonte. Ob unsere vielgepriesenen Kulturgüter wertvoller sind, als die, welche einst unter Schwert und Fackel der Germanen dahinsanken, mag immerhin zweifelhaft sein. Also nicht Furcht vor dem Gasangriff auf unsere Städte darf unser Urteil beeinflussen; Furcht war stets ein schlechter Ratgeber und Angst ist keine Weltanschauung. Gegen technische Angriffsmittel hat die gleiche Technik noch immer Abwehr erfunden.
KEB: Ihre Gedanken zur internationalen Politik zu Ihrer Zeit?
von Seeckt: Wenn wir gegenüber der Forderung der Abschaffung des Krieges um der großen weltbewegenden Fragen willen resignieren, so können wir die Forderung um so lauter erheben, daß nicht um rein politischer Fragen willen zum Schwert gegriffen wird. Vielleicht – und dieses Vielleicht enthält viel Skepsis – ist es möglich, in Europa zu einem Zustand zu kommen, der ruhiger Überlegung und gewichtigem Zuspruch Zeit und Raum sichert, bevor der Eine dem Andern an die Gurgel fährt. Wir sprechen hier besser nur von Europa, denn Ostasien und Zentralafrika scheinen zurzeit friedlichen Zukunftsbestrebungen noch nicht ganz zugänglich zu sein, und Amerika ist ein Land für sich. Die Politik findet schon in Europa ein weites Feld für die eigenen Mittel.
KEB: Ich danke für das Gespräch.
Den Erwerb von Grundbesitz erleichtern
Kurt E. Becker im Gespräch mit Alexis de Tocqueville
KEB: Herr de Tocqueville, Sie haben sich nicht nur mit Grundfragen der Demokratie sondern auch mit dem Thema „Armut“ befasst. Was sind Ihre wesentlichen Erkenntnisse der dynamischen Armutsentwicklung zu Ihrer Zeit.
Tocqueville: Die Konzentration des Grundbesitzes in nur wenigen Händen führt nicht allein zu dem Nebeneffekt, dass ein Teil der bäuerlichen Klassen verarmt. Mehr noch: Sie flößt den Bauern Gedanken und Gewohnheiten ein, die sie langfristig und zwangsläufig in Armut stürzen müssen.
KEB: In diesem Zusammenhang stellen Sie grundlegende Fragen…
Tocqueville: Wer sind die in den unteren Klassen, die sich mit Wollust allen Ausschweifungen und Zügellosigkeiten hingeben und die gern so leben, als gäbe es kein Morgen, wer zeigt sich immer und überall sorglos? Wer schließt diese verfrühten und unklugen Heiraten, die nur dazu da zu sein scheinen, die Zahl der Unglücklichen auf Erden zu vergrößern?
KEB: … und geben ebensolche Antworten…
Tocqueville: Die Antwort ist nicht schwer zu finden. Es sind die Proletarier, die auf Erden nichts weiter besitzen als die Kraft ihrer Arme. Wenn aber gerade jene Männer zu irgendeinem noch so kleinen Stück Land kommen, bemerkt man dann nicht, wie sich ihre Gedanken und Gewohnheiten ändern? Lässt sich da nicht erkennen, dass sie sich mit dem Grundbesitz auch der Zukunft bewusst werden? Von dem Augenblick an, da sie fühlen, dass sie etwas zu verlieren haben, denken sie an die Zukunft. …. Es ist also eigentlich nicht so sehr die Armut, die den Bauern blind für die Zukunft werden und den rechten Weg verlassen lässt, ist er doch vielleicht mit einem winzig kleinen Feld genauso arm. Es ist vielmehr das Fehlen jeglichen Besitzes, es ist die absolute Abhängigkeit vom Zufall.
KEB: Und Ihr probates Mittel?
Tocqueville: Es sei auch noch hinzugefügt, dass es hinsichtlich der Mittel, die den Menschen einen Sinn für Disziplin, Tatkraft und Sparsamkeit vermitteln, wohl kein mächtigeres gibt, als ihnen den Erwerb von Grundbesitz zu erleichtern.
KEB: Ich danke für das Gespräch.