„Um des bloßen Lebens willen entstanden“
Ökonomie ist - Hauswirtschaft
Kurt E. Becker im Gespräch mit Aristoteles
Das Gespräch findet sich in „Der behauste Mensch“, Patmos Verlag 2021
Die „guten alten Zeiten" waren keine guten alten Zeiten
Kurt E. Becker im Gespräch mit Andrew Carnegie
Das Gespräch findet sich in „Der behauste Mensch“, Patmos Verlag 2021
Das Freigeld und die Investition in Immobilien
Kurt E. Becker im Gespräch mit Silvio Gesell
Das Gespräch findet sich in „Der behauste Mensch“, Patmos Verlag 2021
Verfall unsrer Cultur
Kurt E. Becker im Gespräch mit Friedrich Albert Lange
Das Gespräch findet sich in „Der behauste Mensch“, Patmos Verlag 2021
Grundbesitz – ein Handelsartikel
Kurt E. Becker im Gespräch mit Karl Marx
Das Gespräch findet sich in „Der behauste Mensch“, Patmos Verlag 2021
In Pandoras Büchse: Das Eigentum
Kurt E. Becker im Gespräch mit Jochen Heinrich Pestalozzi
KEB: Herr Pestalozzi, lassen Sie uns ganz generell über das Thema „Eigentum“ miteinander sprechen. Speziell im Blick auf Wohneigentum sind damit zweifellos essentielle Fragestellungen verbunden.
Pestalozzi: Sein Zweck und sein Recht muss … von meiner Selbstsorge ausgehen und mich zur Befriedigung meiner selbst in meinen nächsten Verhältnissen hinführen. Aber der gesellschaftliche Mensch genießt dieses Recht und erkennt diesen Zweck nicht; im Gegenteil, das Eigentum ist in seiner Hand Pandorens Büchse geworden, aus der alle Übel der Erde entsprungen. Es ist durch die Nahrung, die es der Selbstsucht unserer tierischen Natur gibt, das große Hindernis des gesellschaftlichen Zwecks geworden und hat den Menschen bald allgemein dahin gebracht, dass er dasselbe entweder wie ein beladener Esel auf wundem Rücken herumträgt oder wie ein spielendes Kind als ein nichtiges Ding versplittert.
KEB: Was sind Ihre Anschauungen vom Recht auf Eigentum?
Pestalozzi: Der Besitzstand ist geheiligt, weil wir gesellschaftlich vereinigt sind und wir sind gesellschaftlich vereinigt, weil der Besitzstand geheiligt ist. Welchen Ursprung er auch immer gehabt habe, das geht uns weiter nichts an, wir müssen ihn respektieren, weil er ist und größtenteils wie er ist oder unsere Bande alle auflösen. Aber wie er gebraucht wird und wie er gebraucht werden dürfe, das geht uns unendlich viel an. Je größer das gesellschaftliche Eigentum, je mehr ist es mit den Rechten vieler anderer, die auf eine nähere oder entferntere Art daran Teil haben, belastet und kann folglich dem Zweck der gesellschaftlichen Vereinigung nur insoweit ein Genüge leisten, als die an demselben teilnehmenden Mitnutznießer derselben, in ihren Rechten gesichert, sich durch dasselbe einen befriedigenden Ersatz ihrer Naturrechte verschaffen können. Die Beschränkung der Nutznießung des Eigentums muss daher nach dem Grade seiner Ausdehnung immer steigen und nach dem Grade seiner Einschränkung muss die Nutznießung immer abnehmen. Die Natur führt uns allgemein auf diese Bahn. Der Mann mit beschränktem Vermögen zieht, mit gleicher Tätigkeit und mit gleichen Kenntnissen, Nutzen aus demselben, dem sich der große Reichtum nie nähern kann.
KEB: Ihr Vorschlag für eine Regelung der Verhältnisse?
Pestalozzi: Auch ruhet dieser Grundsatz ganz und gar nicht auf willkürlichen Voraussetzungen, sondern auf der Natur der gesellschaftlichen Rechtmäßigkeit des Besitzstandes selber. Wenn dieser nicht als der fortdauernde Genuss aller Folgen meiner bloß tierischen Kraft soll angesehen werden, so muss seine Benutzung notwendig so weit in gesetzliche Schranken gelenkt werden, dass es dem untergeordneten Nutznießer des großen Besitzstands immer möglich bleibt, im gesellschaftlichen Zustand durch diese Nutznießung diejenige Befriedigung zu finden, um derentwillen er das bürgerliche Joch beruhigt am Halse trägt.
KEB: Ihre Skepsis gipfelt in der Frage ob der Mensch, der keinen Teil an der Welt hat, in den bestehenden Einrichtungen der Staaten einen wirklichen Ersatz seiner Naturansprüche an das Gemeinrecht der Erde findet?
Pestalozzi: Wenn ich das und dergleichen frage, so kann ich mir nicht verhehlen, das erleuchtete Jahrhundert kennt diesen Grundsatz nicht, je aufgeklärter unsere Zeiten werden, je weniger lassen die Staaten solche Fragen an sich kommen. Unsere Gesetzgebungen haben sich zu einer solchen Höhe geschwungen, dass es ihnen unmöglich ist, an den Menschen zu denken. … Indessen ist der, so keinen Teil an der Welt hat, zum Voraus von ihnen vergessen, man steckt ihn aber unter das Militär oder erlaubt ihm sich selber darunter zu stecken, zu Zeiten macht man für ihn eine Lotterie, darin ein jeder sein Glück mit wenigen Kreuzern probieren kann.
KEB: Ich danke Ihnen für dieses Gespräch.
Verflüchtigung der Substanz des Eigentums
Kurt E. Becker im Gespräch mit Joseph A. Schumpeter
Das Gespräch findet sich in „Der behauste Mensch“, Patmos Verlag 2021
Das Transzendentwerden des goldenen Kalbes
Kurt E. Becker im Gespräch mit Georg Simmel
KEB: Im Zusammenhang mit dem Behaustsein des Menschen haben Sie nicht zuletzt dessen „Mammonismus“ identifiziert. Was hat es damit auf sich?
Simmel: Ich meine damit nicht das, was für jeden nicht mehr barbarischen Zustand offenbar unvermeidlich ist: dass das Geld, das Mittel für fast alle Wünschbarkeiten der Menschen, das Mittel schlechthin, für den Menschen zu einem Endwert und Selbstzweck auswächst. Ist dies aber noch immer eine Form des subjektiven Begehrens und eine psychologische Abkürzung praktischer Zweckmäßigkeiten, so bezeichnet Mammonismus eine Steigerung hiervon sozusagen das Objektive und Metaphysische: die Anbetung des Geldes und des Geldwertes der Dinge, ganz gelöst von dem eigentlich Praktischen und dem persönlich Begehrlichen. Man muss solche Erscheinungen, weil sie sich ja nie in reiner Isolierung darbieten, mit paradoxer Zugespitztheit aussprechen, um sie innerhalb der seelischen Chaotik überhaupt einmal sichtbar zu machen.
KEB: Das heißt konkret?
Simmel: Wie der wahrhaft Fromme zu seinem Gott betet, nicht nur weil er etwas von ihm wünscht oder hofft, sondern frei von solchen subjektiven Triebfedern, nur weil er Gott ist, das Absolute, das um seiner selbst willen Anbetung fordernde Wesen – so verehrt der Mammonist das Geld und den in Geld ausdrückbaren Erfolg alles Tuns, sozusagen selbstlos, in reiner Ehrfurcht.
KEB: Letztlich eine Angelegenheit des Stadtlebens, wie Sie dies bereits in Ihrer „Philosophie des Geldes“ ausgeführt haben?
Simmel: Mag also diese Erscheinung immer nur in Verwebung mit eigentlicher Geldgier, mit Gewinn und Genusssucht auftreten – dass sie überhaupt da war, dass namentlich in unsern großen Städten dieses Transzendentwerden des goldenen Kalbes, dieser Idealismus der Geldwertung endemisch wurde, schien mir eine feinere und tiefere Gefahr als alle jene mehr materialistischen, mehr habsüchtigen Begleitschatten der Geldwirtschaft.
KEB: Hinter all dem vermuten Sie auch eine Art von „Metaphysik“?
Simmel: Unsere große Bedrohung war nicht der unmittelbare Materialismus, der sein Korrektiv im Lauf der Zeit schon von selbst hervorruft, sondern dass er sich in allerhand Ideologien weltanschaulicher und ethischer, ästhetischer und politischer Art umsetzte. Es haben aber die Erschütterungen dieser Zeit es in Hinsicht der wirklich idealen Werte vielen eindringlich gemacht, dass die partielle Marxistische Wahrheit: solche Werte seien nur der Überbau materiellen Interessen – auch umgekehrt gilt: alle materiellen Werte sind jetzt der bloße Überbau über tiefsten seelischen und idealen Entscheidungen und Entschiedenheiten.
KEB: Meinen herzlichen Dank für dieses Gespräch, Herr Simmel.
Großstädtisches Leben
Kurt E. Becker im Gespräch mit Georg Simmel
Das Gespräch findet sich in „Der behauste Mensch“, Patmos Verlag 2021
Lob der nützlichen Investition
Kurt E. Becker im Gespräch mit Adam Smith
Das Gespräch findet sich in „Der behauste Mensch“, Patmos Verlag 2021
… das Haus besitzt ihn, nicht aber er das Haus
Kurt E. Becker im Gespräch mit Henry David Thoreau
Das Gespräch findet sich in „Der behauste Mensch“, Patmos Verlag 2021
Ein geheimes inneres Gesetz der Stadtentwicklung
Kurt E. Becker im Gespräch mit Alfred Weber
KEB: Herr Professor Weber, lassen Sie uns heute über die verschiedenen Arbeitsmärkte und ihren Zusammenhang mit der Stadtentwicklung und dem in den Städten hausenden und arbeitenden Menschen miteinander sprechen. Was hat es damit auf sich?
Weber: Wir können heut nicht übersehen, wie weit der Unterbau mittlerer und kleinerer Arbeitsmärkte in Gebieten, wo er nicht durch die alte Städtebildung historisch gegeben ist, wirklich nachwächst … In Europa … bietet die mittelalterliche Städtegliederung das geografische Netz der möglichen kleineren Arbeitsmärkte und schafft dadurch die standortsmäßige Fixierung der kleineren und mittleren Wanderungs- und Zustromplätze. Die ganze standortsmäßige Fixierung der solche Märkte suchenden Industrie ist in Deutschland, England, Frankreich und anderwärts derart geschaffen durch die alte Städtebildung.
KEB: Wie sieht es mit den größeren Märkten und deren Bedeutung aus?
Weber: Die geographische Fixierung der größten Märkte aber, auf die der Strom der Arbeitskräfte im letzten Grunde zugeht, ergibt sich, soweit man heute sehen kann, in zwiefacher Form, die zwei Arten solcher zentralen Attraktionsstellen schafft. Erstens: Es entsteht in jedem Land, vielfach auch wieder in jeder politisch und historisch selbständigen Gegend ein hauptstädtischer Markt, der seine Attraktionskraft einfach aus der Tatsache seiner zentralen Stellung im gesellschaftlichen Leben überhaupt, der dadurch bedingten primären Größe zieht und aus den reichen Verwertungsmöglichkeiten, die er so jedweden Arbeitskräften bietet (Metropolbildung): London, Paris, Berlin, auch München, Stuttgart, Dresden usw. Zweitens: Es gewinnen solche in alten und neuen Gebieten arbeitsorientierter Industrie gelegene Märkte, die in der Nähe Kohlenbezirke haben und dadurch als attrahierende Arbeitsstellen gleichzeitig vorzugsweise günstige Bedingungen der Materialorientierung für die sich mechanisierende Industrie bieten, das Übergewicht über die in anderen Gebieten allein arbeitsorientierter Produktion historisch gewachsenen (Industriebezirksbildung). Sie werden die arbeits- und kohlenorientierten Zentren, die, wie das rheinisch-westfälische bei uns, eine größere regionale Attraktionsbedeutung bekommen als andere alte Arbeitsgebiete, zum Beispiel das württembergische oder oberelsässische.
KEB: Nun ein Wort zur eigentlichen Stadtentwicklung, bitte.
Weber: Der moderne Städteaufbau weist ein sehr merkwürdiges gesetzmäßig abgestuftes Wachstum der verschiedenen Größenklassen der historisch vorhandenen Städtetypen auf. Die Kleinstädte wachsen stärker als die Land-, die Mittelstädte stärker als die Kleinstädte und das Wachstum findet in den Groß- und Hauptstädten seinen Gipfel. Das gibt das Bild einer Stufenagglomeration, die kein Zufall sein kann, sondern irgendein geheimes inneres Gesetz in sich tragen muss. Und dies innere Gesetz dürfte kein anderes sein als eben jener von genannten beiden Kräften bestimmte Strömungs- und Aufstauungsvorgang der Arbeitskräfte, von dem hier gesprochen wird. Mit dieser Annahme stimmt überein, dass die Metropolbildung heute zunimmt, während die Wachstumstendenzen der Mittelstädte vor allem steigen: Die Abwanderungstendenz ist eben dort am größten, wo die Grundrentenwirkung am stärksten ist, während auf der anderen Seite der Zustrom der Arbeitskräfte doch weiter zu den großen Märkten führt und dadurch vor allem Dingen in der vorletzten Etappe der Mittelstädte Aufhäufungen schafft.
KEB: Ich danke für dieses Gespräch.
Nicht bloß ein „Irgendwie“, sondern auch ein „Irgendwo“ des Vorsichgehens
Kurt E. Becker im Gespräch mit Alfred Weber
KEB: Herr Professor Weber lassen Sie uns heute bitte über den sogenannten „Standort“ miteinander sprechen. Was hat es mit diesem Standort des arbeitenden und hausenden Menschen auf sich?
Weber: Die Frage des Standorts der Industrien ist ein Teil des allgemeinen Problems der lokalen Verteilung der menschlichen Wirtschaftstätigkeit überhaupt. In jeder Wirtschaftsform und auf jeder Stufe der technischen und ökonomischen Evolution muss es für Produktion, Zirkulation, Konsumtion nicht bloß ein „Irgendwie“, sondern auch ein „Irgendwo“ des Vorsichgehens geben, muss es auch immer Regeln geben, die nicht nur das Erstere, sondern auch das Letztere bestimmen.
KEB: Was sind denn die Rahmenbedingungen dieser Industriestandorte? Und wovon werden sie geprägt?
Weber: Wir sind heute Zeugen von einfach ungeheuren örtlichen Verschiebungen der Wirtschaftskräfte, von Kapital- und Menschenwanderungen, wie sie niemals ein früheres
Zeitalter gesehen hat. Wir sehen „Reiche stürzen, Reiche sich erheben“ scheinbar als Folge solcher Wirtschaftsortveränderungen. Wir verfolgen diese Dinge mit dem leidenschaftlichen
Gefühl der Bedeutung, die sie für uns haben, stellen Prognosen auf über die Tendenzen zukünftiger Anhäufung und Verteilung, über Industriestaatsentwicklung und Zusammenbruch derselben. Ja wir greifen durch unsere Handelspolitik in diese Dinge ein und suchen sie zu meistern. Kurzum, wir tun tausend Dinge unaufhörlich, die wir im Grunde nur auf der Basis einer klaren Einsicht in die Gesetzmäßigkeiten, die da wirken, tun dürften.
KEB: Was für den Standort gilt, gilt das nicht naturgemäß auch in größeren geografischen und wirtschaftlichen Kontexten des hausenden Menschen?
Weber: Wir sehen ähnliche ungeheure Verschiebungen auch im nationalen Rahmen wirken, sehen auch dort Gegenden rasch an Menschen und Kapital verarmen, andere übersättigt werden. — Ungeheure städtische Zusammenballungen sehen wir anscheinend ohne Ende vor uns wachsen. Wir philosophieren über diese Dinge, reden von den Vorteilen, Nachteilen, die sie haben, von der „Asphaltkultur“, die sie uns schaffen oder dem „Kulturverfall“. Wir sind auch da selbstredend längst Partei. Dem einen „rennt“ die Bevölkerung nur zum „Vergnügen“ in die großen Städte, um dort sich und ihre Nachkommenschaft zu ruinieren; dem anderen folgt sie dabei notwendigen Gesetzen, zum Beispiel dem der Strömung nach dem „Ort“ des niedersten sozialen Drucks usw.
KEB: Zum Schluss vielleicht noch ein Wort zur Relevanz und Bedeutung der Städte in diesem Zusammenhang.
Weber: Jeder, der in die großen Städte zieht, geht dahin unter anderem doch auch, um dort zu „wirtschaften“. Können wir nun über seine höher-psychologischen, kulturellen und sozialen Gründe, die ihn treiben, streiten, solange wir nicht wissen, ob er dabei nicht einfach eben an der ehernen Kette des engsten ökonomischen Zwanges hängt? Es kann ja sein, die ungeheuren Agglomerationen, die wir vor uns haben, sind einfach notwendige Standortserscheinungen einer bestimmten Stufe ökonomischer und technischer Entwicklung; – oder auch: Sie sind nicht dies, aber notwendige Standortsfolgen einer bestimmten gesellschaftlichen Ordnung unserer Wirtschaft usw. Das alles müssten wir im Grund doch wissen. Und in jedem Fall: Wir können doch nicht so verfahren, als ob es bei der geographischen Bewegung der Bevölkerung Gesetze des Wirtschaftsorts überhaupt nicht gebe, als ob die Menschen, die wir bei der Wirtschaftsart in feste Regeln eingeschlossen wissen, bei der Wahl des Wirtschaftsorts, sich einfach von Vergnügen oder wer weiß welchen anderen irrationalen Motiven leiten lassen könnten. — Hier klaffen recht gewaltige Lücken.
KEB: Herr Professor, ich danke Ihnen für dieses erhellende Gespräch. Es bleibt auch heute noch viel zu tun. Vielleicht noch mehr als zu Beginn der zwanziger Jahre im letzten Jahrhundert, als sie begannen, sich mit dieser Thematik und ihren Lücken zu befassen.
Alfred Weber, der jüngere Bruder Max Webers, geboren 1868 in Erfurt, gestorben 1958 in Heidelberg. Er wuchs in Berlin auf und empfing im Hause seines Vaters, des nationalliberalen Politikers Max Weber sen., die entscheidenden geistigen Eindrücke, die sein Leben prägten. Weber studierte Jura und Nationalökonomie, promovierte und habilitierte bei Gustav Schmoller, wurde 1899 Privatdozent an der Berliner Universität. 1904 wurde er als Ordinarius für Staatswissenschaft an die deutsche Universität Prag, drei Jahre später an die Universität Heidelberg berufen. Hier lehrte er, nur mit Unterbrechung durch den Ersten Weltkrieg und die NS-Zeit, bis zu seinem Tod Nationalökonomie und Soziologie.
Die Bändigung der Gewinnsucht
Kurt E. Becker im Gespräch mit Max Weber
KEB: Herr Professor Weber, seit Monaten bestimmen weltweit Themen wie Finanzkrise und Manager-Gier die wirtschaftlichen Diskussionen der Industrienationen. Sind das neue Phänomene oder gab’s die auch schon zu Ihrer Zeit?
Weber: Wenn Henry Villard zum Zweck eines auf der Börse durchgeführten Handstreichs den berühmten Blind Pool arrangierte, so sind diese und ähnliche Erscheinungen eines grandiosen Beutekapitalismus ihrem „Geist“ nach grundverschieden von der rationalen Leitung eines regulären großkapitalistischen Betriebs, gleichartig dagegen den ganz großen Finanz- und Kolonialausbeutungsunternehmungen und dem mit Seeraub und Sklavenjagd vermengten „Gelegenheits“-Handel, wie es sie seit den ältesten Zeiten gegeben hat.
KEB: Sie haben den Kapitalismus unter anderem als „herrenlose Sklaverei“ bezeichnet. Was ist denn das Charakteristikum dieser „Sklaverei“ aus Ihrem Blickwinkel?
Weber: Im Gegensatz zu allen anderen Herrschaftsformen ist die ökonomische Kapitalherrschaft ihres „unpersönlichen“ Charakters halber ethisch nicht reglementierbar. Sie tritt schon äußerlich meist in einer Art „indirekten“ Form auf, dass man den eigentlichen „Herrscher“ gar nicht greifen kann.
KEB: Gibt es Beispiele in der Geschichte, die auch eine spezifische Form persönlicher Wirtschaftsethik möglich machen oder möglich gemacht haben?
Weber: In China kann es geschehen, dass ein Mann, der einem anderen ein Haus verkauft hat, nach einiger Zeit zu ihm kommt und ihn um Aufnahme bittet, weil er inzwischen verarmt ist. Lässt der Käufer das altchinesische Gebot der Bruderhilfe außer acht, so geraten die Geister in Unruhe; deshalb geschieht es, dass der verarmte Verkäufer als Zwangsmieter ohne Miete wieder in das Haus einzieht.
KEB: Das China heute, verehrter Herr Professor, sieht anders aus. Deutlich kapitalistischer. Überhaupt: Lässt sich denn auf dieses Gebot der Bruderhilfe so etwas wie Kapitalismus aufbauen?
Weber: Mit einem so gearteten Recht kann der Kapitalismus nicht wirtschaften; was er braucht, ist ein Recht, das sich ähnlich berechnen lässt wie eine Maschine; rituell- religiöse und magische Gesichtspunkte dürfen keine Rolle spielen. Die Schaffung eines solchen Rechtes wurde dadurch erreicht, dass der moderne Staat sich mit den Juristen verbündete, um seine Machtansprüche durchzusetzen.
KEB: Sie haben „Geld“ einmal als das „vollkommenste wirtschaftliche Rechnungsmittel“ bezeichnet, das formal rationalste Mittel der Orientierung wirtschaftlichen Handels. Wird dadurch nicht irrationales Handeln, wie von den Ökonomen gewünscht, aus dem Kanon des Wirtschaftens verbannt?
Weber: Die Voraussetzung des Kampfes des Menschen mit dem Menschen auf dem Markt setzt auch die Beeinflussung des Resultates durch die Überbietungsmöglichkeiten mit Geldeinkommen versorgter Konsumenten und die Unterbietungsmöglichkeit für die Güterbeschaffung ausgestatteter Produzenten absolut voraus.
KEB: In modernen Begriffen beschreiben Sie damit den sogenannten freien Markt. Gab es diesen Begriff auch zu Ihrer Zeit bereits?
Weber: Eindeutig der kapitalistischen Entwicklung günstig ist die Deckung möglichst alles Bedarfs auch der Verwaltung durch Vergebung auf dem freien Markt. Mit Einschluss zum Beispiel auch der Vergebung der Heeresanwerbung und Ausbildung an private Unternehmer.
KEB: Das hohe Lied also auf den freien Markt?
Weber: Die Geldwirtschaft ergibt einerseits die objektive Berechenbarkeit der individuellen Erwerbsleistung der Einzelnen und ihres Verbrauchs und eröffnet ihnen auf der anderen Seite überhaupt erst die Möglichkeit, individuelle Bedürfnisse frei zu befriedigen.
KEB: Das klingt sehr nach heiler Welt des freien Marktes. Wie geht diese freie Welt unter anderem auch des Beutekapitalismus, von der Sie gesprochen haben, mit der protestantischen Ethik einher, die Sie ja als Initial des modernen Kapitalismus bezeichnet haben?
Weber: Kein Puritaner hätte je durch Pfandwucher, durch Ausnutzung des Irrtums des Gegenparts, durch Feilschen und Schachern, durch Beteiligung an politischen oder kolonialen Raubverdiensten erworbenes Geld für gottwohlgefälligen Gewinn halten können. Der feste Preis, die absolut sachliche, jeden Durst nach Geld verschmähende, bedingungslos legale Geschäftsgebahrung jedermann gegenüber bewährten sie vor ihrem Gott. Gerade die rationale ethische Bändigung der „Gewinnsucht“ ist das dem Puritanismus Spezifische.
KEB: An dieser protestantischen Ethik können sich heutige Unternehmer und Banker ein Beispiel nehmen. Abschließend ein Blick in die Glaskugel, Herr Weber. Was haben wir zu erwarten?
Weber: Das universelle Wiederaufleben des „imperialistischen“ Kapitalismus, welcher von je her die normale Form der Wirkung kapitalistischer Interessen auf die Politik war, und mit ihr des politischen Expansionsdrangs, ist kein Zufallsprodukt und für absehbare Zeit muss die Prognose zu seinen Gunsten lauten.
KEB: Danke für dieses Gespräch.