„Unsichtbar unerfasslichen Gewalten unterworfen“
Der Mensch im Stadium völliger Unsicherheit
Kurt E. Becker im Gespräch mit Hermann Broch
Das Gespräch findet sich in „Der behauste Mensch“, Patmos Verlag 2021
Ein harmonisches Gesamtbild der Häuslichkeit
Kurt E. Becker im Gespräch mit Hedwig Dohm
Das Gespräch findet sich in „Der behauste Mensch“, Patmos Verlag 2021
Die Zeit der Wohnungsnot
Kurt E. Becker im Gespräch mit Friedrich Engels
Das Gespräch findet sich in „Der behauste Mensch“, Patmos Verlag 2021
Wohnen im Wertewandel
Kurt E. Becker im Gespräch mit Martin Greiffenhagen
Das Gespräch findet sich in „Der behauste Mensch“, Patmos Verlag 2021
Ein helles sonniges Absteigequartier
Kurt E. Becker im Gespräch mit Ernst Kossak
KEB: Herr Kossak, lassen Sie uns über eine besondere Form menschlicher Behausung, das Absteigequartier miteinander sprechen.
Kossack: Wir wollen unsern Freunden hier das große Geheimniß des Absteigequartiers verrathen, nicht jenes von der Polizei verfolgten, das leider unser verderbtes Zeitalter nur allzugenau kennt, sondern ein Geheimniß, um das die Allerwenigsten wissen. Der Mensch frißt mit großer Herablassung die Auster und viele andere Schaal- und Panzerthiere, er zertritt rücksichtslos das Gehäuse der Schnecke, des Menschen Magd fegt ohne Erbarmen die traulichen schattigen Boudoirs der Spinne aus den Ecken, und derselbe Mensch bedenkt nicht, daß er nichts Besseres sei, als eben diese zertretenen, weggefegten, aufgefressenen Thiere.
KEB: Was für wunderlich wunderbare Assoziationen...
Kossak: Wie sie, baut er, um zu leben, aus der Nichtsnutzigkeit seiner selbst ein Gehäuse um sein denkendes Theil, er spinnt sich Winkel von grauen Fäden, aus denen er aus dem Hinterhalt auf seine Beute schießt, er kneipt mit selbstgemachten Scheeren seine Brüder; der Mensch ist nicht besser als andere Thiere; er kann unmöglich unter die anständigen Leute gerechnet werden. Und doch, wenn man den Menschen genauer prüft, kann man ihn nicht ganz verloren geben; es steckt in ihm etwas Aehnliches, wie das seltsame Juwel, das uralte Kröten nach der Sage im Kopfe tragen sollen. Was im Menschen verborgen ruht, muß nur aus dem kalkigen Schneckenhause, dem steinigen Krebspanzer, den staubigen Spinnenwinkeln, die er sich in seiner jammervollen Tagesarbeit zusammengeschwitzt und gesponnen hat, zuweilen hinaus an den blauen Himmel, wo schöne Sterne von Gedanken und Gefühlen kreisen! Das ist das Geheimniß des besseren reuigen Menschen aus der tiefen Erbärmlichkeit unseres Daseins, daß er ein helles sonniges Absteigequartier besitzt, wohin er nach der Ackerarbeit um das Brod seinen Sessel hinausrückt in den Garten der Unsterblichen, die für uns Stümper und Bettler gepflanzt haben. Ob er sich dann hinaussetzt unter die mächtigen dunklen Blätter des Shakespeare, oder die Nachtschatten des Calderon, ob er mit Göthe's Blumen das Haupt kränzt oder sich an Schiller's Spalieren labt, das ist Alles gleichbedeutend. Ob Einer in den Veda's oder in dem Todtenbuch von Memphis wohnt, ob er sich ein Sommerhaus von gesammeltem bunten Schmetterlingsstaub oder von Infusorienschalen baut, das ist seine Sache. Es kommt nur darauf an, daß Jeder hinaus muß aus den trockenen Brodrinden in sein Absteigequartier. Nun giebt es aber Viele und es sind ja die Meisten, die von solcher Wohnung nichts wissen wollen und – können, die aber doch ein dunkles Bedürfniß spüren, nicht immer in der Stallfütterung zu stehen, sondern auch einmal auf das wohlige Gras zu gehen, diese nehmen das Absteigequartier buchstäblich und miethen es vor den Thoren. Darum darf jedoch sein Einfluß nicht gering angeschlagen werden, auch das kleinste Sanssouci ist im Stande, vor der Welt zu retten.
KEB: Ein Wort zu den Kosten und weiteren Besonderheiten.
Kossak: Es giebt Absteigequartiere, die den ganzen Sommer über nicht mehr kosten, als die Landpartie eines Sonntags, wie sie eine wohlhabende Familie zu unternehmen pflegt. Zwei alte Jungfern miethen sich eine Fliederlaube vor dem Thore, gehen alle Tage hinaus, ziehen zwischen sich und der Welt einen Bindfaden quer über den Eingang und trinken ihren einsiedlerischen Kaffee. Vor zwanzig Jahren saßen beide am fashionablen Ende der Stadt unter einem gestickten Zelte und warteten des Freiers, der nach ihrem Kränzlein käme. Väter sind nicht unsterblich, Capitalien nicht unantastbar, das Barometer der Börse hat auch nur eine Glasröhre und die Jungfern wurden alt und arm. Anfangs fuhren sie auf die Welt los wie die Boa und die Tigerin auf den armen Wanderer zwischen ihnen, allein sie stürzten mit ihren Zungen die Welt nicht um, an der schon andre Leute als sie vergeblich gerüttelt haben. Dann wurden sie allmählig ruhiger. Sie saßen zwar im Sommer nicht mehr vor einem stolzen Landhause, allein sie saßen in einer blühenden Fliederlaube. Den früheren Fliederwald ihrer väterlichen Villa hatten sie vor lauter Bäumen nicht gesehen; den einen wohlthätigen Fliederstamm sahen und liebten sie. Die Natur hatte sie veredelt. Sie schimpften nicht mehr auf die Menschen, so sehr diese es auch verdienen mochten; Armuth und Einsamkeit hatten die bösen Zungen geheilt. Sie liebten beinahe die Welt, seit sie sich durch ihrer Hände Arbeit darin lebendig erhalten mußten.
KEB: Ich danke für das Gespräch.
Die Fenster sind gemacht, daß man sie öffne, die Thüren, daß man sie schließe
Kurt E. Becker im Gespräch mit Florence Nightingale
Das Gespräch findet sich in „Der behauste Mensch“, Patmos Verlag 2021
„Dies ist mein“
Kurt E. Becker im Gespräch mit Jean-Jaques Rousseau
Das Gespräch findet sich in „Der behauste Mensch“, Patmos Verlag 2021
Herr der Erde
Kurt E. Becker im Gespräch mit Friedrich Schleiermacher
KEB: Herr Professor, Sie gelten als einer der vielseitigsten Gelehrten Ihrer Zeit und als einer der ersten soziologischen Denker überhaupt. Ihre „Soziologie“ geht von der Überlegung aus, dass der Mensch der Herr der Erde sei. Was hat es damit auf sich?
Schleiermacher: Mit Recht rühmt der Mensch sich dieser Herrschaft jetzt so, wie er es noch nie gekonnt; denn wie viel ihm auch noch übrig sei, so viel doch ist nun gethan, dass er sich fühlen muss als Herr der Erde, dass ihm nichts unversucht bleiben darf auf seinem eigenthümlichen Boden, und immer enger der Unmöglichkeit Gebiet zusammenschwindet. Die Gemeinschaft, die hierzu mich mit Allen verbindet, fühle ich in jedem Augenblick des Lebens als Ergänzung der eigenen Kraft.
KEB: Mit welcher Konsequenz? Eine erste Art der Arbeitsteilung im globalen Behaustsein?
Schleiermacher: Ein jeder treibt sein bestimmtes Geschäft, vollendet des Einen Werk, den er nicht kannte, arbeitet dem Andern vor, der nichts von seinen Verdiensten um ihn weiss. So fördert über den ganzen Erdkreis sich der Menschen gemeinsames Werk, Jeder fühlet fremder Kräfte Wirkung als eigenes Leben, und wie elektrisches Feuer führt die kunstreiche Maschine dieser Gemeinschaft jede leise Bewegung des Einen durch eine Kette von Tausenden verstärkt zum Ziele als wären sie alle seine Glieder, und alles, was sie gethan, sein Werk, im Augenblick vollbracht. Ja dies Gefühl gemeinsam erhöhten Lebens wohnt noch lebendiger wohl und reicher in mir, als in Jenen, die so laut es rühmen. Mich stört nicht täuschend ihre trübe Einbildung, dass es so ungleich die geniessen, die doch Alle es erzeugen und erhalten helfen. Denn nur durch Gedankenleere, durch Trägheit im Betrachten verlieren sie Alle; von Allen fordert Gewohnheit ihren Abzug, und wo ich immer Beschränkung und Kraft vergleichend berechne, ich finde überall dieselbe Formel, nur anders ausgedrückt, und gleiches Maass von Genuss verbreitet sich über Alle. Und doch auch so achte ich dieses ganze Gefühl gering; nicht etwas besser noch in dieser Art wünschte ich die Welt, sondern es würde mich peinigen wie Vernichtung, wenn dies sollte das ganze Werk der Menschheit sein, und nur daran unheilig ihre heilige Kraft verschwendet.
KEB: Aber das Sinnhafte menschlichen Lebens ist mit der Bewältigung der äußeren Welt noch nicht definiert.
Schleiermacher: Nein, meine Forderungen bleiben nicht bescheiden stehen bei diesem besseren Verhältniss des Menschen zu der äussern Welt, und war es auf den höchsten Gipfel der Vollendung schon gebracht! Wofür denn diese höhere Gewalt über den Stoff, wenn sie nicht fördert das eigene Leben des Geistes selbst? was rühmt ihr euch jener äusseren Gemeinschaft, wenn sie nicht fördert die Gemeinschaft der Geister selbst? Gesundheit und Stärke sind wohl ein hohes Gut: aber verachtet ihr nicht jeden, der sie nur braucht zu leerem Gepränge? Ist denn der Mensch ein sinnlich Wesen nur, dass auch das höchste Gefühl des leiblichen Lebens, denn sein Leib ist ja die Erde, ihm alles sein darf? Genügt es dem Geiste, dass er nur den Leib bewohne, fortsetzend und vergrössernd ihn ausbilde, und herrschend seiner sich bewusst sei? Und darauf allein geht ja ihr ganzes Streben, darauf gründet sich ihr ungemessner Stolz. So hoch nur sind sie gestiegen im Bewusstsein der Menschheit, dass von der Sorge für das körperliche Leben und Wohlsein des Einzelnen sie zur Sorge für das gleiche Wohlbefinden Aller sich erheben.
KEB: Ich danke für das Gespräch.
Gemeinschaft und Gesellschaft
Kurt E. Becker im Gespräch mit Ferdinand Tönnies
Das Gespräch findet sich in „Der behauste Mensch“, Patmos Verlag 2021
Es gibt alles, nur keine Wohnungen
Kurt E. Becker im Gespräch mit Kurt Tucholsky
Das Gespräch findet sich in „Der behauste Mensch“, Patmos Verlag 2021
Architektonische Unglücksfälle
Kurt E. Becker im Gespräch mit Thorstein Veblen
Das Gespräch findet sich in „Der behauste Mensch“, Patmos Verlag 2021
Fünfhundert im Jahr und ein Zimmer für sich allein
Kurt E. Becker im Gespräch mit Virginia Woolf
Das Gespräch findet sich in „Der behauste Mensch“, Patmos Verlag 2021